Nach unserem Aufruf im Artikel “Erzähle uns von Deinem Kopftuch”, erreichte uns nun die zweite Geschichte einer Leserin. Wir freuen uns weiterhin über Zuschriften, die wir gerne veröffentlichen werden. Noch einmal herzlichen Dank an alle, die den Mut haben uns ihre Geschichte zu erzählen. Hier der Text der Autorin, die gerne anonym bleiben möchte:
Deutsche Großeltern, deutsche Eltern und Verwandte, frei und selbstständig erzogen, wie käme ich dazu, ein Kopftuch zu tragen? Vor fünf Jahren noch hätte ich niemandem geglaubt, der mir gesagt hätte, dass ich heute ein Kopftuch trage. Oder dass ich mit Mitte zwanzig verheiratet wäre! Noch dazu mit Kindern!
Vor fünf Jahren war ich eine der vielen jungen Mädchen hier, mitten im Studium und im Leben, ständig auf Reisen – Backpacking durch Afrika und Südamerika, mit Freundinnen und Freunden auf Parties und zog ständig von einer WG in die andere. Und dann lernte ich jemanden kennen, den dieser von mir so wertgeschätzte Lebensstil überhaupt nicht reizte und der trotzdem glücklicher und lebensfroher wirkte als irgendwer sonst. Keine Parties, sondern gemütliche und lustige Gespräche am Abend, nicht der Traum von möglichst vielen exotischen und wilden Freunden, sondern der einer großen glücklichen eigenen Familie. Viele Kinder ohne Patchwork-Familienbande, ganz traditionell mit der geliebten Ehefrau an der Seite und mit der Gewissheit, dass das Paradies nach dem Tod wartet. Klang irgendwie schön, wie im Film! Auf jeden Fall faszinierte es mich und ich merkte, dass das auch eigentlich irgendwo mein Traum war, nur vielleicht für später mal, nachdem ich mich ausgetobt hatte.
Und so beobachtete ich unauffällig das fünfmalige Beten, versuchte im Ramadan, solidarisch mitzufasten und hörte den Geschichten aus dem Koran zu, die ich so ähnlich noch vage aus der Bibel kannte. Und irgendwann wollte ich meine Zeit nicht mehr mit der unnötigen Rumtoberei vergeuden, es gab so viel Schöneres, Wichtigeres, das auf mich wartete. Und es gab plötzlich das Gefühl, eine schützende und helfende Hand zu spüren und einen Sinn für das Leben zu sehen. So vieles von dem, was ich mir wünschte, erfüllte sich! Ob das tatsächlich so war oder ob ich es durch meinen neu gewonnenen Glauben nur so empfand, spielte keine Rolle, denn es machte mein Leben reicher und mich glücklicher!
Ich begann zu sehen, wie viel Schönes ich bisher als selbstverständlich hingenommen hatte. Dieses Gefühl der tiefen Dankbarkeit für diese schöne Welt, in der ich lebe, war für mich der Anlass, den Islam so auszuüben, wie ich glaube, dass es richtig und vollständig ist und das Kopftuch ist nur ein kleiner Teil dessen. Ich fühle mich so wohl mit dem Gefühl, mein Bestes zu geben, um die Faszination dieser Welt wert zu schätzen, dass ich das Kopftuch oft als Schmuck empfinde. Und ich habe auch bisher nie schlechte Erfahrungen damit gemacht. Ich bin so frei wie zuvor, reise viel mit meiner kleinen, eigenen Familie, habe mein Studium abgeschlossen und versuche, den Anforderungen des Glaubens bestmöglichst gerecht zu werden! Einschränkend ist das nicht und ich habe auch nicht das Gefühl, gegen den Strom der westlichen Welt zu schwimmen, denn ich bekomme viel Zustimmung und positive Reaktionen! Vor allen Dingen aber genieße ich jeden Tag mit dem Gefühl, meine Zeit nicht nur zu vertreiben, sondern meinen eigenen, für mich richtigen Weg gefunden zu haben!
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