Du hast mich eingeladen meine ganz eigene Geschichte über das Tragen eines Kopftuches zu erzählen. Als ich deinen Artikel mit der Einladung las, war ich unheimlich gerührt. Es war mir schon lange nicht mehr passiert, dass mir jemand nur zuhören wollte, ohne dass ich mich entschuldigen oder rechtfertigen brauchte. Ich hoffe deshalb, dass die Einladung auch wirklich so gemeint war, und dass nicht dahinter ein unangebrachtes Kalkül steckt.
Leider erlebt man des Öfteren, dass nicht wirklich ein Interesse besteht den Menschen hinter dem Kopftuch kennen zu lernen, sondern das Ziel bestehende Vorurteile zu bestärken. Aus diesem Grunde zähle ich auf deine Aufrichtigkeit und erzähle dir meine Geschichte und hoffe du wirst mir einfach nur zuhören ohne zu verurteilen.
Ein ganz gewöhnlicher Tag
Heute Mittag war ich shoppen und kaufte mir das dritte Paar Schuhe in diesem Monat und die vierte Handtasche. Ich hatte das Gefühl einen großen Nachholbedarf zu haben, da ich seit der Geburt meiner heute vierzehnmonatigen Tochter, nur noch selten Zeit und Energie fand, um einfach nur etwas für mich zu tun. Meines Geldes erleichtert und glücklich, bekam ich einen großen Hunger und stellte fest, dass ich heute auch gar kein richtiges Frühstück zu mir genommen hatte. Ich überlegte, ob ich wieder ins Fischrestaurant sollte, denn dort stellte sich keine Frage nach dem Halal-Fleisch; doch ich beschloss nicht das dritte Mal in Folge Fisch zu essen. Ich entschied mich für das vegetarische Sandwich nebenan, obwohl das Putenfleisch in der Abbildung wirklich unheimlich verlockend aussah.
Während ich beherzt in mein Sandwich biss, knabberte meine Tochter an den beiden Keksstücken in ihrer Hand. Nach dem Essen wollte ich eigentlich nach Hause, da ich allmählich merkte, dass mir das frühe Aufstehen am Morgen doch zu schaffen machte. Doch ich konnte nicht umher in der Spielwarenabteilung vorbeizuschauen. Dort kaufte ich meiner Tochter einen Puppenwagen und während ich mir dabei noch versuchte einzureden, dass meine Tochter dieses Ding wirklich brauchte, schließlich hatte sie den Wagen meiner Nichte nicht aus der Hand gelassen, wusste ich doch dass ich mir im Grunde nur selbst eine Freude damit machte. In meiner Kindheit hatte ich nie einen eigenen Puppenwagen besessen und auch übriges Spielzeug war eher sehr rar zu Hause gewesen. Schließlich musste auch alles mit den übrigen vier Geschwistern geteilt werden. Außerdem war man eh immer „die Große Schwester“ gewesen, die selbstlos stets den Kleinen alles abgab.
Während ich mich also mit dem Kinderwagen aus dem Zentrum navigierte, hatte ich Probleme die schweren Türen offen zu halten. Eine junge blonde Frau mit ihrer etwa fünfjährigen Tochter half mir dabei und bemerkte, dass sie diese Torturen auch schon hinter sich gebracht habe. Für einen Augenblick teilte ich, die Frau mit dem schwarz-weißen Kostümkleid und weißen Kopftuch, die gleichen Hürden und das gleiche verständnisvolle Strahlen in den Augen, die verhießen, dass wir Mütter zueinander halten sollten, während wir beide gleichzeitig unsere Kinder nicht aus dem Blick verloren, und ihnen immer wieder ermutigend zulächelten, damit auch sie an unserer kleinen Unterhaltung teilhaben durften.
Draußen angelangt atmete ich tief die frische Luft ein und half meiner Tochter bei dem Kampf gegen die Sonne, die ihr direkt ins Gesicht schien. Nachdem der Sonnenschirm gerichtet war, wollte ich gerade weiterziehen, als ich eine alte Frau bemerkte, die Mühe hatte mit den schweren Einkaufstüten in der Hand voranzukommen und immer wieder die Tüte ablegte und erschöpft nach Luft rang. Unentschlossen, ob ich weitergehen oder der Dame helfen sollte, beschloss ich schließlich meine Hilfe anzubieten, da wir offenbar in die gleiche Richtung wollten. Als ich jedoch freundlich anbot die schwere Last zu tragen, schaute mich die Frau erschrocken an und gab ein energisches „Nein“ von sich.
Nein, die Dame wollte meine Hilfe nicht, begriff ich und ärgerte mich gefragt zu haben. Ich hätte anfangen können nachzudenken, woran es lag; vielleicht an meiner Erscheinung, hatte etwa mein Kopftuch diese Wirkung gehabt? Oder lag es vielleicht nur an dem starken Willen der Dame ihre Eigenständigkeit zu erhalten und der Angst davor sich einzugestehen, nicht mehr ohne Unterstützung auszukommen?
Doch diese Fragen, wollte ich mir nicht stellen, diese hatte ich mir schon zu genüge gestellt, als die so nette Frau am Telefon, die mir die Wohnung schon fast zugesagt hatte, bei unserer Begegnung plötzlich von weiteren Mitbewerbern sprach und mir indirekt andeutete, ich möge mich doch anderweitig umsehen. Auch bis heute unklar blieb mir die Bemerkung der etwas pummeligen Fachärztin, die mir an einem sehr heißen Julitag, mit kurzen Shorts und Top-Shirt bekleidet, zu erklären versuchte, das ich mir eine andere Famulaturstelle suchen sollte, da sie eine Chefin sei, die auf gepflegte angemessene Kleidung wert lege, um ihr „Klientel“ nicht zu verschrecken. Daraufhin lief ich in meinem weißen Visitenkittel und Kopftuch bekleidet an dem Wartezimmer vorbei, um die Praxis zu verlassen – vorbei an dem „Klientel“, von dem gut ein Drittel ebenfalls ein Kopftuch trug.
Meistens blieben die Antworten aus, nach denen ich suchte, und es blieb immer ein fader Nachgeschmack bei solchen Erfahrungen zurück. Aufrichtigkeit und Klarheit wünschte ich mir dann meistens. Ich bildete mir ein, dass ich dann wohl besser damit zurechtkommen würde. Doch als ich in meinem Praktikumsjahr als Gastärztin aus der Türkei vorgestellt wurde, da meine Anwesenheit beim Professor Unbehagen hervorzurufen schien oder bei einem Bewerbungsgespräch, als ich vom Chefarzt gefragt wurde wie eine solch intelligente, begabte und emanzipierte Frau, solch rückständiges und unterdrückendes wie das Kopftuch tragen könne, stellte ich fest, dass mir auch diese Offenheit und Klarheit unheimlich weh tat.
Schließlich zu Hause angekommen, bemerkte ich erschrocken, dass ich fast schon das Mittagsgebet verpasst hatte. In letzter Zeit passierte mir dies Öfter, und ich machte mir Vorwürfe, dass ich die Leichtigkeit verloren hatte, mit der ich früher meine Gebete verrichtete.
Nachher wollte ich noch bei meiner Nachbarin vorbeischauen. S. war eine hübsche junge selbstsichere Frau, die vor vier Jahren nach Deutschland gekommen war. Seit ihrer Hochzeit trug sie mehr oder weniger ebenfalls eine Kopfbedeckung, wobei sie meistens die schönen Schals bevorzugte. Manchmal vergaß sie auch eines zu tragen und nahm es nicht so genau, wenn sie im Treppenhaus mit wallendem Haar stand. Ich hatte manchmal Probleme, dies zu verstehen, da ich aus Überzeugung penibel darauf achtete, kein einziges Haar zu zeigen. Doch ich lernte, dass es auch Muslime gab, die einfach gewisse Dinge taten, weil es sich „so gehörte“ und trotzdem glücklich mit dieser Einstellung waren. Nachdem ich bei S. war und unsere Kinder miteinander spielten und stritten, wollte ich doch den restlichen Abend allein zu Hause verbringen. Nachdem ich meine Tochter schlafen legte und meinen Mann in Hamburg anrief, wollte ich noch meine Emails durchschauen und wurde auf eine weitergeleitete Mail von einer Freundin aufmerksam. Als ich diese öffnete, las ich die große Überschrift, die lautete: „Erzähl mir von deinem Kopftuch“.
Die Autorin dieser Geschichte hat uns gegenüber den ausdrücklichen Wunsch geäußert, Kommentare zu ihrem Beitrag zuzulassen. Wir freuen uns daher über Lesermeinungen auf unserer Facebookseite.
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