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Erzähle uns von deinem Kopftuch! – Die neunte Geschichte

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bandanasAnmerkung an die Leser: Wer den Hintergund der vor etwa zwei Jahren ins Leben gerufenen Artikelserie “Erzähle uns von Deinem Kopftuch” nicht kennt, kann diesen hier in unserem Einladungsschreiben nachlesen. Nun hat uns wieder ein Beitrag erreicht, der hoffentlich weitere Leserinnen motiviert uns ihre Geschichte zu erzählen. Wir sagen danke und geben das Wort an Elvira Berndt:

Mein Koptuch und ich

Es war ein eisig kalter Januartag und die Dämmerung des Abends begann. Ich sitze auf dem Boden am Fenster und blicke hinaus auf schneebedeckte Bäume, deren Äste unter dem Glitzer von Eis elegant und erhaben wirken. Der Bach ist teilweise zugefroren und das Wasser bahnt sich in einem kleinen Rinnsal den Weg, um sich mit dem nächsten größeren Fluss zu vereinen. Der Weg ist schnee-und eisbdeckt und das Licht der Straßenlampe reflektiert sich und es scheinen Tausende von strahlenden Lichtern zu sein.

Nun beginnt es langsam zu schneien und ich sehe tanzende Schneeflocken, die sich vor meinem Fenster bewegen. Sie sehen geheimnisvoll aus und mir scheint, das es ihnen Freude macht auf diese Erde zu kommen. Unter dem Licht der Straßenlampe vollführen sie einen Wirbeltanz und der Anblick fasziniert mich und berührt mich im Herzen. Niemand ist zu dieser Zeit unterwegs und das Leben der Menschen findet wie immer im Winter in der Wärme ihrer Häuser statt.

Ein wenig Traurigkeit kommt in mein Herz, denn ich würde auch so gerne die Wärme meiner kleinen Wohnung mit einem Menschen teilen. Die Einsamkeit legt sich wie ein dunkler Schleier über mein Herz und ich beginne zu weinen. Die Tränen sind warm und fließen in Strömen über mein Gesicht, als ob sie sich in einem großen Meer wie das Wasser des Baches zu einem größeren Fluss hin bewegten.

Die Angst, die Einsamkeit, die Verletzlichkeit, das Leid und der Schmerz der Vergangenheit haben sich in meinen Tränen zusammengefunden und bahnen sich den Weg von innen nach außen. Ich beginne meine Tränen willkommen zu heißen und lasse ihrem Lauf freien Fluss. Ich spüre mein Herz, meinen Atem, meinen Körper, meine Haut und es scheint mir, das der Wirbel der Schneeflocken der Heftigkeit meinem Meer von Tränen gleicht.

Meine Seele schreit und mich überfällt eine tiefe Dankbarkeit, dass es mir vergönnt ist, den Schrei meiner Seele zu hören. Tiefe Verzweiflung überfällt mich, denn wie viele Jahrzehnte habe ich meine Seele nicht gehört, nicht hören wollen, habe sie einfach ignoriert und sie zum Schweigen verurteilt. Immer wieder hat sie sich bemerkbar gemacht, sie ist nicht müde geworden, sie hat mir die Treue gehalten.

Langsam verebben die Tränen und nun habe ich meinem Herzen eine Stimme verliehen … die Stimme des Herzens spricht zu mir und tiefe Geborgenheit und Wärme überfluten mich. Es sind jetzt Tränen der Dankbarkeit und der Demut, die über mein Gesicht laufen. Die Hoffnung und die Zuversicht haben auf meinen Schultern Platz genommen und haben die Last verdrängt.

Mein Blick richtet sich nun auf den Tisch, ich stehe auf und entferne das Papier. Vor mir liegen drei wunderschöne Kopftücher. Ich lasse meine Hände über die Tücher gleiten, sie fühlen sich anschmiegsam und warm an. Nach einigem Suchen in der Stadt hatte ich sie heute in einem kleinen Geschäft entdeckt. Sie gefielen mir sofort und ich wusste, dass sie für mich bestimmt waren. Diese edlen Tücher würden mich nun für die nächsten Monate begleiten. Ja, ich werde sie mit Würde und Stolz tragen.

Ich gehe zum Spiegel und ziehe meine Mütze ab, die für diese Wintertemperaturen im Augenblick am besten war. Meine Hände streicheln zärtlich über meine Glatze und ich spüre, wie ich mich selber angenommen habe. Es war nicht leicht in den letzten Wochen und mein Anblick zum ersten Mal ohne Haare im Spiegel war ein Moment, den ich nie im Leben vergessen werde.

Tiefe Dankbarkeit und Demut, Hoffnung, Zuversicht und Liebe werden mich von nun an begleiten. Ich fühle mich beschützt und geschützt und bin so glücklich wie nie zuvor. Ich binde mir die Tücher und probiere aus, was mir am besten steht.

Meine Kopftücher und ich tanzen nun wirbelnd wie die Schneeflocken im Licht durch die Wohnung.

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